Henning Lohner

Diese von John Cage und Henning Lohner konzipierte Aufführung von 4’33ˮ aus dem Jahr 1990 entspricht einer filmischen Interpretation der gleichnamigen John Cage-Komposition von 1952. Der Film besteht aus einer Standbildaufnahme in der Nähe eines ehemaligen Kontrollpostens an der Invalidenstraße kurz nach dem Mauerfall. Es handelt sich um eine von nur zwei Aufzeichnungen des Stückes, die Cage selbst angefertigt hat; die andere ist jene gemeinsam mit Nam June Paik am Harvard Square in Boston (in: Tribute to John Cage). Im unteren Bilddrittel erkennt man die Trümmer des abgerissenen Checkpoints. In der Mitte des Bildes sieht man Cage und Lohner schweigend vor einem Kran sitzen, mit dem offenbar der Checkpoint abgebaut wurde. Die Abbruchstelle ist umgeben von einer vielbefahrenen Straße, die links hinter dem Kran abzweigt und, an der sich eine langsame, aber stetige und scheinbar endlose Schlange von Autos vorbeischlängelt. Gelegentlich fällt der Schatten von Passantinnen und Passanten auf die Trümmer, die darauf warten, weggeräumt zu werden. Statt eine klassische Konzertsituation zu inszenieren und die Sinne des Publikums für Umgebungsgeräusche zu schärfen, konzentriert sich Lohners filmische Adaption auf die Stille der beiden Männer, auf ihre Pathoslosigkeit, die die historische Situation unterstreicht, und zu einem ruhigen Moment des Verharrens, der einen Blick ins Innerste der Psyche ermöglicht. Gleichzeitig läuft das großstädtische Treiben, die Hektik des Alltags weiter und erzeugt einen dynamischen Schwung, der sich um einen gravitativen Drehpunkt im Zentrum des Bildes entfaltet. Das Video wird so zu einer stummen, verschlüsselten und unkommentierten Metapher für einen historischen Glücksmoment im Berlin der Wendezeit. 

Anke Hervol

 

In der Ausstellung:

Henning Lohner
Performance für Video von 4’33’’ an der ehemaligen deutsche-deutschen Grenze, Übergang Invalidenstraße, Berlin, 1. August 1990
4:33 min, Ton optional, 1990
Privatsammlung Berlin + Los Angeles