Gotthard Graubner

© Lothar Wolleh Estate, Berlin / Foto: Lothar Wolleh

„Indem der Maler der Welt seinen Leib leiht, verwandelt er die Welt in Malerei“1, schreibt der Philosoph Maurice Merleau-Ponty. Der Maler Gotthard Graubner erweitert mit seinen plastisch-volumigen Kissenbildern dieses Prinzip, indem er sie selbst zu einem Leib machte. Mit nassen, ineinanderfließenden Farben und speziell entwickelten Malwerkzeugen durchdrängt er die mit Watte gefüllten Bildkissen, bis die Farbe ein Eigenleben entfaltet und das Bildobjekt zu einem „Farbraumkörper“ wird. Graubner malt keine Bilder, sondern betreibt eine pure Malerei, die jenseits abbildhafter Illustration sich in der Polarität von warm und kalt, von leicht und schwer, von steigend und fallend, von werdend und vergehend bewegen. „Der eigentliche Naturbezug in meiner Malerei ist das Nachschaffen eines Organismus, das Atmen, das Ausdehnen und Zusammenziehen“2, sagt Graubner über seine Werke. Das 1968 entstandene frühe Hauptwerk Stylit II ist Teil einer dreiteiligen Werkgruppe. Seine weiße, puristische Oberfläche und der weiche Bildkörper bilden eine atmosphärische, in den Raum drängende Membran. Schemenhaft taucht im Bildzentrum eine schmale Gestalt auf. Der Bildtitel lässt an frühchristliche Mönche denken, die auf Säulen zwischen Himmel und Erde den Prinzipien der Askese folgten. Graubners Stylit vermittelt eine im nebeligen Zwielicht tauchende Form, die durch die undefinierbare Grenze zwischen Sein und Nichts diffundiert.

Ulrike Pennewitz

 

1 Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist (1961), in: Ders. Das Auge und der Geist. Philosophische Essays, Hamburg 2003, S. 275–317, hier S. 278.
2 Gotthard Graubner zit. nach Armine Hase,  Gotthard Graubner Malerei 1961–62, in: Kunstforum International, Bd. 82 (1986), S. 283.

 

In der Ausstellung:

Gotthard Graubner
Stylit II, 1969
Öl auf Schaumstoffkissen auf Leinwand mit Perlon überspannt, Plexiglasscheibe
200 x 130 x 8,5 cm
MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, Sammlung / Collection Ströher