Katharina Grosse

© Andrea Stappert

Katharina Grosses Bilder brauchen keinen Ort, keinen Rahmen oder für das Bild vorbereitete Flächen. Losgelöst vom Malgrund fließen ihre Bilder über Formen, erwachsen aus granularen Haufen, werden aufgesogen von Oberflächen und treten an unerwarteten Bereichen wieder zutage. Grosses Bilder brauchen Räume. Mit Farbe werden Stellen markiert, auf Ecken und Texturen, auf Möglichkeiten und Grenzen hingewiesen, die Höhe, Weite, Tiefe des Raums sichtbar gemacht. In vielen Schichten erlangt die Farbe in Grosses Werken Körperlichkeit und Eigenständigkeit, die im Zusammenspiel mit dem Raum ein Bild erzeugt. In einem ständigen Prozess und in Kooperation mit dem vor Ort Vorgefundenen und Eingebrachten schichtet die Künstlerin die Farbe in dichten Layern übereinander, lässt aber auch Freistellen, Öffnungen und Pausen. In einer Serie von Arbeiten hat die Künstlerin Farbe auf raues Japanpapier aufgetragen, bis eine durch das Acryl organisch wirkende Oberfläche entstand, die das faserig-knittrige Material wie eine Haut überspannt. Die mit hohem Weißanteil abgemischten Gelb-, Rot- und Blautöne der Papierarbeit Ohne Titel lassen an das in der Renaissance-Malerei verwendete helle Inkarnat denken, das Cennino Cennini in seinem Handbuch Il Libro dell’Arte (um 1390) mit dem Mysterium der Fleischwerdung in Verbindung brachte. In der Malerei von Caravaggio und Raffael wurde das Inkarnat auch zu einer Reflexion der Malerei als einer Kunst im Spannungsverhältnis zwischen plastischer Verkörperung und planer Oberfläche. Inkarnat ist keine Farbe, sondern eine Technik der Schichtung und Modellierung von Farbe mit dem Ziel, Körperlichkeit und Lebendigkeit durch Malerei zu entwickeln und – zumindest in einem übertragenen Sinne – aus der Malfläche in den Raum hinauszutreten. 

Ulrike Pennewitz

 

In der Ausstellung:

Katharina Grosse
Ohne Titel, 2003 (3 Stück)
Acryl auf Japanpapier
Je 98 x 65 cm
Courtesy of the artist and König Galerie, Berlin

 

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