Interview zwischen Max Dax und Rutherford Chang, 2020 (Auszug)
Max Dax: Was war der Ausgangspunkt deines Projekts?
Rutherford Chang: Als Teenager kaufte ich mir ein Exemplar vom White Album, einfach nur, um die Musik hören zu können. Ich kann mich nicht erinnern, dass es damals ein besonders wichtiges Ereignis oder eine einflussreiche Platte für mich war. Mein Exemplar kostete nur einen Dollar auf einem Flohmarkt, also habe ich es gekauft. Mein Projekt begann dann, als ich mein zweites Exemplar kaufte. Das war vor 14 Jahren, 2007. Damals wurde mir bewusst, dass diese einst identischen Objekte im Laufe der Zeit zu einzigartigen Artefakten geworden waren und dass sie alle eine Geschichte zu erzählen haben. Damals beschloss ich, so viele wie möglich zu sammeln.
M. D.: Zu sammeln bedeutet: Du kaufst permanent neue Exemplare an, deshalb auch der Titel der Arbeit: We Buy White Albums.
R. C.: Zu Anfang habe ich die meisten Exemplare noch online gekauft oder selbst nach ihnen gesucht. Aber seit ich dieses Projekt seit etwa neun Jahren in Galerien und Museen zeige, hat es einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und die Leute kommen zu mir, bieten mir Exemplare an, und ich kaufe sie. Wenn die Leute sie ins Museum bringen wollen, kaufe ich sie auf jeden Fall – sofern es sich um ein nummeriertes Exemplar handelt und der Preis stimmt.
M. D.: Was ist für dich ein „angemessener“ Preis?
R. C.: Es kommt darauf an, aber ich habe noch nie viel für ein Exemplar bezahlt. Ich bin nicht daran interessiert, hohe Preise für Exemplare mit niedriger Nummer in neuwertiger Qualität zu zahlen. Ich bin eher an heruntergekommenen Exemplaren interessiert, deren Cover Alterserscheinungen aufweisen oder sogar beschädigt sind.
M. D.: Anders als normalerweise üblich in der Kunstwelt dürfen die Ausstellungsbesucher in den Plattenkisten stöbern.
R. C.: Oh ja, das ist natürlich erlaubt – genau wie in einem echten Plattenladen. Man interagiert, als wäre man in einem echten Plattenladen. Nur dass man die Platten nicht kaufen kann.
M. D.: In der Installation sind 100 Exemplare vom White Album an der Wand ausgestellt, als ob der Plattenladen mit diesen Platten für seinen guten Musikgeschmack werben würde. Sind das immer dieselben Platten, die du hier präsentierst? Oder entscheidest du das vor Ort – oder entscheidet gar der Kurator, welche Exemplare hervorgehoben werden?
R. C.: Die Auswahl kam zustande, als ich We Buy White Albums vor neun Jahren zum ersten Mal in New York ausstellte. Die Besucher kamen herein, wählten Platten aus, die sie auf dem Plattenspieler abspielen wollten, und ich notierte mir, welche Nummern diese ersten 100 Platten hatten. Von diesen ersten 100 Exemplaren habe ich übrigens auch eine Platte pressen lassen. Ich habe jede dieser Platten einzeln digitalisiert, dann habe ich diese Aufnahmen übereinandergelegt und als neue Vinylschallplatte gepresst, die sich anhört, als ob 100 unterschiedliche Exemplare derselben Platte gleichzeitig abgespielt werden.
M. D.: Die Platte klingt wie eine Kakophonie.
R. C.: Ja, das stimmt. Und das Cover des Albums ist auch eine Zusammenführung dieser 100 verschiedenen Cover – daher ist es natürlich nicht annähernd weiß, sondern komplett mit Zeichnungen und Schriftzügen bedeckt – das erinnert eher an eine mit Graffiti beschmierte Wand.
M. D.: Deine Installation wächst immer weiter. In der Akademie der Künste im Hanseatenweg präsentierst du sie so, wie sie in den letzten Jahren gewachsen ist, und wenn sich anschließend ein anderes Museum entscheidet, die Installation zu zeigen, wird es abermals mehr Exemplare geben, denn du kaufst ununterbrochen neue Exemplare vom White Album an.
R. C.: Das stimmt. Die Installation wird fortgesetzt und wächst. Das Schöne an diesem Album ist, wie gesagt, dass es ein Massenprodukt ist und gleichzeitig aufgrund der Seriennummer jedes Exemplar ein Unikat zu sein vorgibt. Sie aber alle sammeln zu wollen, wäre eine absurde Aufgabe.
M. D.: Wie viele Exemplare zeigst du in der Akademie der Künste?
R. C.: Vor Kurzem habe ich auf Instagram mein 2.900. Exemplar gepostet – und es werden immer mehr.
M. D.: Wie waren die bisherigen Reaktionen auf die Installationen? Gefällt sie nur Leuten aus der Kunstwelt oder auch Leuten aus der Musikwelt?
R. C.: Es ist ziemlich gemischt. Es gibt Leute aus der Kunstwelt, und dann gibt es noch die Plattensammler. Es berührt definitiv die Obsessionen der Plattensammler. Es bringt das Plattensammeln auf eine wirklich zwanghafte Ebene. Es gibt Beatles-Fans, die glauben, dass ich der extremste von ihnen sei. Aber ich kaufe diese Platte nicht, um die Musik zu hören. Du brauchst definitiv keine 3.000 Exemplare des gleichen Albums, um es dir anzuhören. Trotzdem ist das Phänomen der Beatles für mich interessant: Was passiert, wenn eine Band zur größten Band der Welt wird? Das betrifft auch ihre Anhängerschaft und die gesamte Kultur, die sie umgibt. Und das offenbart sich nicht zuletzt ganz deutlich in der Art und Weise, wie diese Alben gealtert sind und wie die Leute sie „verziert“ haben. All diese Exemplare erzählen ihre eigenen Geschichten.
In der Ausstellung:
Rutherford Chang
We Buy White Albums, 2013 – fortlaufend
Vinyl Records, Neon
Courtesy of the Artist
Weiterführende Informationen zum Künstler