Pierre Huyghe

Pierre Huyghes Werke präsentieren sich meist als komplexe Systeme, die von unterschiedlichsten Lebensformen, Objekten und vielfältigen Technologien geprägt sind und diese zusammenführen. Er konstruiert neue Formen von Organismen, in denen sich biologische, technologische und fiktive Elemente vereinen. Gleichsam entwickeln sich dort aber auch immersive und ständig in Mutationen befindliche Umgebungen, in denen sich Menschen, Tiere und fiktive Figuren begegnen, entwickeln und in Korrelation an- und weiterwachsen, wie bei After ALife Ahead (2017), Zoodram 2 (2010), No Ghost No Just a Shell (zusammen mit Philippe Parreno, 1999). Für die dOCUMENTA (13) entwickelte der Künstler in einem der Kompostierung vorbehaltenen Teil eines Barockgartens eine hierarchielose Komposition, bestehend aus einem liegenden Frauenakt von Max Weber (1930er-Jahre), dessen Kopf von einem Bienenvolk umhüllt wurde, dazu aphrodisischen und psychotropen Pflanzen, einem lebenden Hund mit pinkfarbenem Bein, einem entwurzelten Baum aus Joseph Beuysʼ 7000 Eichen-Documenta-Installation von 1982, und weiteren Elementen.

Pierre Huyghe bezieht sich mit seiner Partitur der Stille auf die John Cage Komposition 4ʼ33ˮ von 1952, die aus drei Sätzen besteht und den Interpretinnen und Interpreten die freie Wahl der Instrumente lässt. Die Partitur verlangt jedoch von ihnen, ihre Instrumente in der vorgegebenen Zeit nicht zu spielen (siehe Allan Miller/David Tudor: John Cage – „I have Nothing To Say and I Am Saying It“ von 1990). Huyghe hat mit Hilfe einer Computersoftware die Geräusche einer CD-Aufnahme von 4’33ˮ in klassische Noten umgesetzt. Diese aufgezeichneten Noten können wiederum mit jedem herkömmlichen Musikinstrument gespielt werden. Über diesen Weg entsteht aus John Cages radikalem Stück das spielbare Musikstück, das allerdings an eine Aufführung gebunden ist. Einerseits werden so die bei dieser speziellen Aufnahme auftretenden Klänge präzise faksimiliert, andererseits wird Cages Konzept bewusst fehlinterpretiert. Pierre Huyghe widmet sich hier Fragen des geistigen Eigentums von existenten Kunstwerken, indem er sie neu interpretiert, wie bereits 2006 mit der Installation im Celebration Park I do not own 4’33ˮ in London. 

Anke Hervol

 

In der Ausstellung:

Pierre Huyghe
Silence Score, 1997
Serie aus 4 Drucken, Notenblätter mit Notationen, weiße Rahmen
Je 40 x 30 cm
Courtesy of the artist