Inge Mahn

Die Bildhauerin Inge Mahn schafft große und kleine Objekte, meist aus Gips, die unserem Lebensalltag entstammen ohne sie genau zu kopieren, darunter Türme, Vorhänge, Schränke, Stühle, Tische, Fahnen, Treppen. Die Rohheit und Modellhaftigkeit des unbehandelten Gipses nutzt sie, um ein feines Gleichgewicht zwischen Material, Struktur und menschlicher Interaktion herzustellen. Ihre handgefertigten und realistischen Objekte fügt sie zu Räumen und großräumigen Installationen zusammen, die Wege der Sozialisation und der menschlichen Interaktion beleuchten sollen und einen Wahrnehmungswandel der räumlichen Situation befördern. Dieser Fokus auf soziale Beziehungen ist auf ihre Zeit als Schülerin von Joseph Beuys und seiner sozialen Skulptur zurückzuführen; damals zeigte sie ihre Abschlussarbeit Schulklasse (1970) zunächst in der Meisterschüler-Ausstellung des Lehrers an der Kunstakademie Düsseldorf und dann einer größeren Öffentlichkeit auf der von Harald Szeemann kuratierten documenta 5. Sie erzählte von Prüfungszwängen und Leistungsdruck bis hin zu Disziplinierungen in der Nachkriegsgesellschaft, die eigentlich Veränderungsprozessen unterzogen werden sollten. Inge Mahns Skulpturen verfolgen einen kognitiven und physischen Anspruch, auf die Menschen einzuwirken, die sich mit ihren Skulpturen im Raum aufhalten, nicht, sie darzustellen. Der Mensch wird so Teil ihres künstlerischen Konzeptes.

Der weiße Stuhlkreis (2002) aus 17 Sitzen ist eine ihrer kinetischen Arbeiten, zu denen auch Unruhe (2002) oder Erbsenzählen (2009) gehört. Der geschlossene Stuhlkreis bildet eine Einheit, die räumlich objektiv nach außen verschlossen bleibt. In seinem Zentrum befindet sich ein weißer Sockel mit motorbetriebener Aluminiumstange, an deren Enden kleine Kristalle befestigt sind, die in der Bewegung kontinuierlich die 17 auf den Sitzflächen stehenden Kristallgläser berühren. Es entsteht ein feiner vom Zufall der Berührung erzeugter gläserner Ton, der wie ein himmlischer Zwischenton den gesamten Raum erfüllt. Das Unsichtbare, Unlenkbare, Unausgesprochene und Unbeschreibliche, das zwischen diesen zwei Parteien liegt – hier die Einheit des Kreises und der ihn umgebene Außenraum –, wird durch die Farbe Weiß als Summe aller Farben und durch den sich im Raum ausbreitenden Ton verbunden. 

Anke Hervol

 

In der Ausstellung:

Inge Mahn
Stuhlkreis, 2000
Gips auf Holz, Kristallglas, Motor, Aluminiumrohr
Courtesy of the artist + Galerie Max Hetzler Berlin/ Paris/London

 

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